Der überraschende Tod seines Bruders Joe zwingt Lee Chandler, seine Anstellung als Hausmeister in Boston niederzulegen und wieder in das 50 Kilometer nördlich gelegene Dörfchen Manchester by the Sea zu fahren, dem er vor Jahren den Rücken gekehrt hatte. Eigentlich will Lee so schnell wie möglich wieder zurück, aber weil Joe ihn als Vormund von dessen 16-jährigen Neffen Patrick eingesetzt hat, muss er vorerst bleiben. Und wird nicht nur konfrontiert mit dem Leben der Menschen dort, sondern auch mit der eigenen Vergangenheit.
Eigentlich hat Lee mit seiner Heimatstadt schon längst abgeschlossen. Er lebt in Boston, arbeitet als Hausmeister und ist wenig bis gar nicht an zwischenmenschlichem Kontakt interessiert. Doch dann stirbt sein älterer Bruder Joe und Lee wird zum Vormund für seinen 16-jährigen Neffen Patrick ernannt. Völlig überfordert mit der Situation muss Lee nun in seiner alten Heimat lernen, mit dieser Verantwortung umzugehen. Und er muss sich dazu noch seiner eigenen konfliktreichen Vergangenheit stellen. Wie ein vielschichtiger Schatz entblättert sich MANCHESTER BY THE SEA von Kenneth Lonergan für den Zuschauer und gibt Ebene für Ebene ein tief berührendes Drama frei, dass seine große Kraft nicht aus Überinszenierung und einer Aneinanderreihung von Höhepunkten zieht, sondern aus einer feinen subtilen Beiläufigkeit, die den Zuschauer in die Handlung hineinzieht. Casey Affleck spielt Lee eindringlich als in sich gekehrten Eigenbrötler, der völlig losgelöst von jeder Art von Emotion erscheint. Doch je länger man ihm auf seinem Weg folgt, desto mehr erkennt man ihn als verlorene Seele und erkennt auch die Tragik seiner Geschichte, die ihm den Boden unter den Füßen fortgerissen hat. Auch Lucas Hedges als Patrick, Michelle Williams als Lees Ex-Frau und Kyle Chandler als dominanter Bruder, dessen übergroßer und überguter Schatten auch nach seinem Tod in der ganzen Stadt spürbar ist, spielen eindrucksvoll. Nicht immer agieren die Figuren als Sympathieträger. Doch, und das zeichnet den Film auch in seiner Inszenierung, Kameraführung und der Atmosphäre und Stimmung des Handlungsortes aus, alle Figuren reagieren und handeln immer authentisch. So entsteht eine Leichtigkeit, die die große Tragödie des Films auf geschickte und reflektierte Weise auffängt und eine Identifikation mit den Figuren ermöglicht. Hierzu nutzt der Film auch ein dramaturgisches Stilmittel und springt in der Erzählung immer wieder zurück in die Vergangenheit, lässt Dialoge unvollendet und zeichnet so das Bild einer Familie, die ihr Happy End nicht im Kitsch, sondern in der Ehrlichkeit findet. Wie ein krasser Gegensatz wirkt der dramatische Score und Soundtrack, der gezielt an manchen Stellen Höhepunkte setzt und so unter die Haut geht. Mit MANCHESTER BY THE SEA ist Kenneth Lonergan ein berührender, wahrhaftiger und zutiefst menschlicher Film gelungen, der in jeder Minute vollends überzeugt.